Wer was über die geschlechtlichen Ab- und Zuneigungen seiner Fernsehlieblinge erfahren will, ist hier natürlich falsch. Dafür müsste man schon zu einem nachrichtlich nachrangigen Produkt greifen, wie zu Hörzu, Funkuhr oder der Beilage SZ Magazin. Dort erfährt man zwar auch nicht, ob die Akteure in dem Anzeigeblatt mit ihrer Vorstellung August Wilhelm Iffland nacheifern, der zu seiner Lebzeit ja auch nicht nur durch Schauspielkunst, sondern ebenfalls sexuell von sich reden machte. Ifflands Ring zur eignen Zier, so viel immerhin ist klar, den wollen alle tragen.
Als Zeitungsleser kann man ja nicht jedem Geschichtenerzähler online folgen, aber dass so ein Verlagsmanager gleich ganz davon abrät – ist das, wenn nicht geschäftsschädigend, wenigstens geschäftsführerschädigend?
Gewiss stand im ersten Entwurf des Sinnspruchs aus dem Zeitungshaus, dass Erfolgsgeschichten mit LESERN beginnen. Weil mit diesem Begriff aber offenbar keiner mehr etwas anzufangen weiß unter den angeheuerten Verlagslenkern und Marketingfiguren in der Chefetage, ersetzten sie ihn durch ein gängiges Wort aus ihrem Arbeitsumfeld. So wurden aus Lesern Leader und keine Follower.
Das Erstaunen über die fehleranfälligen Prozesse im zeitgenössischen Journalismus ist eher kein Phänomen unter Leserinnen und Lesern, die haben sich an manchen Humbug und sonderliche Volten im Welterklärgeschäft gewöhnt. Ging die Relevanz des Relotius schon zu seinen Wirkungszeiten kaum über die eigene Zunft hinaus (= er fabulierte, was seinen Redaktionsleitern und Preisverleihern gefiel, nicht für Leser), so ist nach dem Auffliegen des unsympathischen Vogels erst recht interessant, dass das nur DIE BRANCHE aufgescheucht hat. Der größte Teil der Gesellschaft zuckt mit den Achseln.
Wenn die betroffenen Redaktionen mit betroffener Miene weiter die Betroffenen mimen und das wie der SPIEGEL als ihre Opfer-Erzählung durchsetzen, ist es vielleicht sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass diese Darstellung zu bequem ist. Das Milieu, das solche Knaben gut findet, fördert und als Aushängeschilder nutzt, ist nicht Opfer, sondern Mittäter. Ohne eine Nachfrage nach emotionalen Rührstücken (so traurig) mit aktuell-politischem Hintergrund (brisant) aus exotischen Ländern (spannend) gibt es keinen Nimbus als zart-einfühlende Edelfeder mit Superkontakten. Nur besteht diese Nachfrage zuallererst in den Redaktionen, nicht bei Lesern und Zuschauern. Die schauen da nur hin, weil die Redaktion mit der Veröffentlichung eine Art Prüfsiegel professioneller Berichterstattung mitveröffentlicht hat. Hey, im Netz gibt’s alles Mögliche, aber wenn’s im SPIEGEL steht … nimmt man’s doch zumindest ernster, oder?
Tja, das ist wohl der Irrtum. Das festzustellen, dazu braucht es keinen FALL Relotius, die Branchenrealität ist viel trister. Ein paar Recherchetipps, wen es wirklich interessiert, samt kurzer Antworten für Recherchefaule:
Wie viele Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland betreiben ein sogenanntes FACTCHECKING, beim Spiegel DOKUMENTATION genannt? (maximal eine Handvoll. Die meisten haben sogar ihr Lektorat abgeschafft. Qualitätskontrolle ist kein populäres Thema in der Zeitungsindustrie.)
Welche Grenzen hat ein seriöses FACTCHECKING? (viele. Konsequentes Factchecking müsste bei den Quellen und Zitierten nachfragen, ob das wirklich so stimmt, wie vom Reporter geschrieben, womit der Arbeit- oder Auftraggeber dessen Autorität untergräbt. Im Fall der Zitate gilt es zurecht als problematisch, sie dem Zitierten auf Wiedervorlage zu geben, wenn man sich anschaut, welch weichgespülte Fassung man von diesem oder dieser bei Wortlautinterviews zurückkriegt. Besonders sinnlos ist Factchecking, das sich die zitierten Studien und Quellen vom Schreiberling schicken lässt statt andere Quellen zur Verifizierung zu suchen. Wenn die genannten Quellen irren oder lügen, der Aufschreiber das aber richtig wiedergeben hat, geht das widerspruchsfrei durch)
Warum finden freie Schreiber und Korrespondenten ihre Texte in einer Fassung im Blatt wieder, die mit Fehlern versehen worden ist? Sodass sie nicht mehr mit der Quellenlage übereinstimmen und Zitate von der Audiodatei abweichen? Das Tunen von eingereichten Texten in Zentralredaktionen oder am Newsdesk durch Branchenvertreter, die nie vor Ort waren und mit niemandem gesprochen haben, dessen Zitate sie frisieren, ist eine Seuche, die diese Branche befallen hat und über die jeder freie Journalist etwas sagen könnte. Das Motiv, das Maximale aus der Story rauszuholen oder banalen Murks überhaupt erst zur Story zu machen, mag in der Werbung und der BILD-Zeitung gang und gäbe sein. Im seriösen Journalismus damit leben zu müssen, ist ein guter Grund, dieser Branche Lebwohl zu sagen.
Gabor Steingart redet immer noch so, der Auftritt liegt aber schon fünf Jahre zurück. Der Nutzen einer Kündigung des HANDELSBLATTS ist demnach heute, im Jahr 2017, bereits 200 Euro höher ist als im Jahr 2011: 749 Euro für’n Jahresabo [2011: 549 Euro].
Undank ist der Welten Lohn. Wie sonst konnten einstige QUALITÄTSZEITUNGEN nur in den Verdacht geraten,
keine Verbindung zur Realität mehr zu haben,
im Wolkenkuckucksheim die Bodenhaftung zu verlieren,
so manche Luftpumpe und ziemliche Luftikusse zu beschäftigen,
die noch dazu viel heiße Luft produzieren?
In einem speziellen Fall könnte die Zeitungsbranche zu dieser um sich greifenden Fremdwahrnehmung allerdings doch einen kleinen Eigenbeitrag geleistet haben – wenn auch weniger durch den Einsatz eines aufgeblähten Werbemittels als durch die Bestallung eines neuen Chefredakteurs. Dieser konnte in den 1990er Jahren von einem Schwindler angebotene Fakenews leider nicht von echten unterscheiden. Damals ging es zwar nur um Hollywood-Interviews, „geführt“ von Tom Kummer (hier ein Link zum Dokfilm darüber). Seit Ende 2016 nun darf Ulf Poschardt für DIE WELT mit seinem Lifestyle-Besteckkasten Politik vermessen.
Auf Twitter sieht das dann – gewiss später einmal anerkannt als der Ausgangspunkt eines Aufbruchs in eine schönere Parallelwelt – zum Beispiel so aus: