Selten appellieren Brauer in der Bierwerbung an die Intelligenz ihrer Kundschaft. Aus gutem Grund setzen sie kulturelle oder historische Kenntnisse nicht voraus. Denn gelingt das werbliche Unterfangen und die Zielgruppe fängt eifrig zu trinken an, löscht sich allmählich, was da war, und die Werbung zielt mehr und mehr ins Leere. Der Geist weicht dem Geistigen. Wissensdurst ist eine Plage, die sich mit Kölsch besonders erfolgreich auslöschen lässt. Die wenigen hellen Köpfe im Kölner Stadtgebiet, die je noch zum Kölsch greifen, unterlassen das nach wenigen Versuchen, so wie der durchreisende Sänger und Pilot der Heavy-Metal-Band Iron Maiden, Bruce Dickinson.1
Die anderen in Köln, die allen körperlichen und geistigen Warnsignalen zum Trotz die lokale Biersuppe weiterlöffeln, gehen auf der Treppe nach unten. Sie werden Studenten an der Universität zu Köln, und wenn sie später nicht selbst bei der Stadt arbeiten oder im Rat sitzen, betrachten sie deren Unfähigkeit als Lebensgesetz, das sie hinnehmen, aber nicht verstehen. Kölsch macht eben stumpf, nicht schlau.
Wer nach guter Kölner Lebensart beim Warten auf die U-Bahn, auf dem Spielplatz vor der Kita oder unter der Wasserkanone im Attraktionsbecken des Stadionbads stehend nicht nur tief ins schmale Glas schaut, sondern bildungshungrig auch das Flaschenetikett studiert, findet dort im Kleingedruckten einen Text, den heute keiner mehr versteht, so angestrengt und lange man auch darauf blickt. Niemand, den wir an besagt-beliebten öffentlichen Konsumräumen der Domstadt mit einer Pulle des REWE-Kölschs Richmodis antrafen, wusste, was ihm der Werbetexter da zu erzählen versuchte. Das war den befragten Kölnern übrigens auch sehr egal, wie im Übrigen alles andere auch.
Lediglich ein Nicht-Kölner legte einen Funken Interesse an den Tag, vermutlich weil er sich erst kurz auf Kölner Boden aufgehalten hatte. Er war zu kurz in der Stadt, um den Fehler des Bruce Dickinson begehen zu können, im Vertrauen auf die Weisheit der Einheimischen einfach auch das zu trinken, was diese trinken. Ebenso war er zu kurz da, um bereits von dem sedierenden Odium befallen zu sein, das aus öffentlichen Mülleimern entströmt, die in Köln bis auf Pfandflaschen ungeleert bleiben. Der rottige Muff wirkt im geografischen Sinn als örtliche Betäubung, die unweigerlich alle Ortsansässigen früher oder später anfällt und überwältigt, bis sie ihn selbst ausströmen und an andere weitergeben. Nicht so unser Gewährsmann, der tatsächlich wissen wollte, worum es bei dem Klappentext der Flasche denn nun also gehe!
Als ihm der Schleier der Unwissenheit gelüftet wurde und die Wahrheit in aller Nacktheit hervortrat, bereute er seine Neugier und er bettelte darum, wieder unter oben genannten Schleier schlüpfen zu dürfen. Nach zwei Schlucken Richmodis-Kölsch erreichte er dieses Ziel und vergaß die grauenhafte historische Begebenheit, aus deren Erwähnung sich die Brauerei einen positiven Marketing-Effekt verspricht. Ungeheuerlich!, wenn man weiß, worum es bei der Geschichte mit den Pferden, der Treppe und der unsterblichen Liebe wirklich geht: Familiengründung mit einem Zombie!
Köln im Jahr 1357: Die Frau des Bürgermeisters stirbt an der Pest und wird beerdigt. Sie steht aus dem Grab auf, geht nach Hause und klopft. Er glaube nicht, dass sie es sei, sagt der Witwer. Eher als seine Frau vor der Tür fände er seine Gäule die Treppe rauf oben unterm Dach. Als dem plötzlich so ist, heißt er die Untote willkommen und macht ihr drei Kinder. Beide Eheleute waren aus edlem Bürgerblut und entstammten reichen Familien, im damaligen Köln wie einige andere patrizische Sippschaften Die Geschlechter genannt. Vielleicht liefert derart skandalöses Paarungsverhalten die Erklärung, warum Eliten in Köln innerlich so verrottet sind? Neben dem Kölsch, selbstverständlich.
- „Die Hölle ist ein Ort, an dem es nur Männer gibt, die Kölsch trinken … Einige der schlimmsten Katertage meines Lebens habe ich dieser Plörre zu verdanken … Es ist mir unbegreiflich, wie man sich das freiwillig durch den Hals jagen kann, wo es in Deutschland so wunderbare Biere gibt.” (Bruce Dickinson im: Rolling Stone) ↩︎