Köln kann vieles nicht. Schulen, Opern, Stadtarchive, Turnhallen, Brücken, Museen, Fernsehtürme, nicht mal Hubschrauberlandeplätze. Alles marode, geschlossen oder unvollendet. Alles so seit Jahren. Alles passt zu Köln.
Eins passt nicht: der Dom. Der ist einmalig, stilvollendet wie aus einem Guss, und, total verrückt, er ist fertig geworden. Wenn der Kölner wenigstens eine Sache richtig gemacht hat, ist es der Dom. Hat er aber nicht. Ab 1248 bauten die Ahnen zwar nach Kräften, die aber mit der Zeit erlahmten. 1520 ließen sie die Kelle fallen und begannen das Leben nach der kölschen Art, die Dinge hinnimmt statt angeht. Fortan waren sie mit dem Anblick von dem zufrieden, was eben da war: Domchor und ein halber Turm. Der Baukran blieb weithin sichtbar oben drauf, wenn auch für 300 Jahre unbenutzt. Das waren Kölner Haltung und Zustand bis 1842. Sie sind es bis heute, doch genau darüber täuscht uns die Pracht des Doms.
Lokalstolz auf den Dom ist ein Schmuck mit fremden Federn
Dass damals die Bauarbeiten wieder aufgenommen und bis 1880 abgeschlossen wurden, ist alles andere als lokale Leistung. Der Lokalstolz trägt fremde Federn. Erst gingen Kölner, die es selbst nicht hingekriegt hatten, den Fremdherrscher Napoleon mit dem Wunsch an, ihnen bitte den Dom zu vollenden. Nach dessen Abgang wandten sie sich an den nächsten Fremdherrscher, der von ihnen Besitz nahm. Als Kronprinz beim ersten Rundgang angefixt, machte Friedrich Wilhelm IV. als Preußenkönig das Domding zu seinem Projekt. Die Fertigstellung des historischen Stückwerks passte hervorragend zu seinem anderem Projekt, der Vereinigung des kleinstaatlichen Flickenteppichs zum deutschen Kaiserreich. Ohne diesen Nutzen als Nationalsymbol hätte Köln nie den Dom bekommen, der heute da steht.
Man kann nicht wissen, wie Geschichte sonst verlaufen wäre. Angesichts des aberwitzigen Scheiterns schon an kleinen Bauaufgaben darf behauptet werden: Niemals wären das zeitgenössische Köln und seine Politik in der Lage, einen Dom zu bauen und zu vollenden. Es ist darum unehrlich, wenn sie sich damit schmücken. Zurück zum vorpreußischen Zustand! Herunter damit aufs Kölner Niveau!
Touristen genügt ein begehbares 360-Grad-Panorama
Warum nicht? Die Bevölkerung störte sich 600 Jahre lang nicht am peinlichen Anblick einer offenen Baustelle. Dieser langen Stadterfahrung eigener Vergeblichkeit stehen gerade mal 150 Jahre der Silhouette mit dem perfekten Gotteshaus gegenüber. Dieses Asset mit Weltgeltung haben für sich vereinnahmt: Kaiser, Bischöfe, Nazis, Oberbürgermeister, Karnevalisten, Touristenwerber, Firmen und noch jeder Immi, wie er überall in der Stadt zu finden ist, nur nie im Dom, außer er kriegt Besuch von auswärts. Das Weltkulturerbe öffnet seine Pforten hauptsächlich für Reinraus-Touristen. Wem würden sie fehlen?
Die Phantomschmerzen der Kölner Krämerseele ob des Teilabrisses lassen sich mildern. Im Theater-Dauerprovisorium auf dem Breslauer Platz würden keine Musicals mehr laufen, sondern es würde zum 360-Grad-Panorama ausgemalt, wo der zahlende Pilger sehen kann: So hätte der Dom ausgesehen, wenn er je fertiggestellt worden wäre. Innen und außen. Wow. Und dann geht der beeindruckte Mensch raus, fällt aus den Wolken und wird geerdet, wenn er sieht: So ist Kölle.